Basel, 28. April 2003
Sie ist wohlgeformt und stolze 1,5 mm gross. Ihr Milieu ist frisches Quellwasser: Die Zwergdeckelschnecke mit dem melodischen Namen Graziana quadrifoglio. Forscher der Universität Basel entdeckten diese für die Wissenschaft neue Schneckenart in zwei Quellen im Tessin.
Quellen sind zu Unrecht ein wenig beachteter Lebensraum. Zahlreiche Insekten, Kleinkrebse, Plattwürmer und winzige Schnecken leben ausschliesslich in Quellen, anderswo können sie nicht existieren. In der Schweiz sind natürliche Quellen selten geworden. Durch die Fassung von Quellen zur Trinkwassergewinnung oder Drainage wirtschaftlich genutzter Flächen ging der für diese hochspezialisierten Tierarten lebenswichtige Lebensraum verloren. Für die meisten Arten bedeutet dies das Aussterben. Die Mehrzahl der kleinen Quellenschnecken hat eine sehr begrenzte Verbreitung. Manche Arten kommen nur in einem Tal oder gar einer einzigen Quelle vor.
Die Entdeckung einer neuen Zwergdeckelschnecken-Art durch Forscher der Universität Basel im Tessin bei Riva San Vitale ist als kleine Sensation zu werten. Das Vorkommen von Zwergdeckelschnecken war schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts in einigen Quellen und Höhlengewässern des Tessins bekannt. Allerdings wurden diese irrtümlicherweise einer schon bekannten Art zugeordnet, die ihre Verbreitung im Ostalpenraum hat. Eine Ueberprüfung der Tiere unter Anwendung modernster anatomischer und elektronenmikroskopischer Methoden zeigte nun, dass die Schnecken einer eigenen, bisher unbekannten Art angehören. Weitere Untersuchungen werden zeigen, ob die neue Art ausschliesslich in diesen beiden Quellen vorkommt oder noch in anderen Quellen im Sottoceneri und angrenzenden Norditalien zu finden ist.
Neue Arten erhalten einen Namen. Bei der Namensgebung werden der Fantasie der Forscher kaum Grenzen gesetzt, obwohl internationale Richtlinien eingehalten werden müssen. Der Entdecker der neuen Art ist Hobbysänger und widmete deshalb den Artnamen seinen Freunden des gleichnamigen Basler Vokalquartetts.
Die überraschenden Ergebnisse zeigen eindrücklich, dass Neuentdeckungen von Arten nicht nur in tropischen Urwäldern oder in der Tiefsee möglich sind. Selbst in der dichtbesiedelten Schweiz gibt es noch zahlreiche bisher unbekannte Arten. Umsomehr gilt es, diesen Reichtum der Natur zu beachten und langfristig durch einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt zu erhalten.
Lebensraum der neuentdeckten Schnecke auf dem Monte San Giorgio Sorgente Grotta del Mago (Nähe Riva San Vitale)
Schale der 1.5 mm langen, neuentdeckten Schnecke (Rasterelektronenmikroskopaufnahme, REM-Labor, Universität Basel)
Prof. Dr. Bruno
Baur
Institut für Natur-, Landschafts- und Umweltschutz
St. Johannsvorstadt 10, 4056 Basel
Tel: 061 267 08 29, Fax: 061 267 08 32
E-mail: bruno.baur@unibas.ch
Dr. Martin Haase
National Institute of Water & Atmospheric Research NIWA
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E-mail: m.haase@niwa.cri.nz
Kantonale Fachstelle Natur und Landschaft Tessin:
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Ufficio protezione della natura
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Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft
BUWAL
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Abteilung Natur, Arten- und Biotopschutz
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